Epilepsie

11 B 2 – 170/3636 – ABl. 4/95 S. 237 

Allgemeine Informationen für Lehrerinnen und Lehrer Bekanntmachungen und Mitteilungen des Hess. Kultusministeriums vom 15. März 1995 

1. Das Vorurteil 

Seit Jahrtausenden wird Kranken mit Epilepsie mit Furcht, Ablehnung und Misstrauen begegnet. Noch heute halten 20% der Bevölkerung die Epilepsie für eine Geisteskrankheit! 20% aller Eltern würden es ihren Kindern verbieten, mit einem Kind zu spielen, das an Epilepsie erkrankt ist! Durch diese Vorurteile werden die Betroffenen sozial ins Abseits gedrängt und isoliert. Kinder werden in ihrer Entwicklung nicht durch ihre Krankheit, sondern durch das Verhalten ihrer Umgebung schwerst gefährdet. 

2. Die Fakten 

Epilepsie ist eine organische Erkrankung des Gehirns. Ein Prozent der Bevölkerung leidet an ihr. Die Epilepsie ist damit häufiger als so verbreitete Krankheiten wie z. B. der Diabetes mellitus. Der epileptische Anfall wird hervorgerufen durch eine Funktionsstörung des Gehirns und ist eine typische Reaktionsweise des Gehirns auf verschiedene Störfaktoren. Das Gehirn reagiert umso eher mit einem epileptischen Anfall, je geringer sein Ausreifungsgrad ist. Daher ist die Hälfte aller an Epilepsie Erkrankten unter 15 Jahre alt. Durch eine geeignete Therapie können heute 70% aller Anfallskranken anfallsfrei werden.

3. Die Ursachen 

  • -Hirnschäden während der Schwangerschaft und Geburt 
  • -Gehirn- und Hirnhautentzündungen 
  • -Verletzungen des Gehirns durch Unfälle 
  • -Hirntumoren 
  • -Durchblutungsstörungen des Gehirns 
  • -Stoffwechselerkrankungen 
  • -unbekannte Faktoren 

4. Der Anfall 

Zahlreiche Anfallsformen sind bekannt. Hier seien nur die wichtigsten mit ihren wesentlichen Symptomen beschrieben: 

a) Große Anfälle 

Diese Anfälle sind der Öffentlichkeit am bekanntesten und dazu geeignet, bei den beobachtenden Menschen Katastrophenreaktionen auszulösen. Mit oder ohne Vorboten kommt es bei den Betroffenen zu einem Bewusstseinsverlust, verbunden mit brutalem Hinstürzen. Hierbei treten nicht selten Verletzungen auf. Nach dem Sturz findet sich als erste Phase eine starke Anspannung der Muskulatur. Es kommt zum Atemstillstand. Das Gesicht verfärbt sich bläulich. Die Augen sind häufig starr geöffnet. Diese Phase dauert ca. eine halbe Minute und geht über in eine Phase mit rhythmischen Zuckungen der Extremitäten. Die Atmung kommt allmählich schnarchend wieder in Gang. Zungenbiss und Urinabgabe sind mögliche Symptome. Es besteht erneut Verletzungsgefahr. Der gesamte Anfall dauert ca. zwei bis drei Minuten. Im Anschluss an diesen Anfall erlangen die Kranken das Bewusstsein wieder oder der Anfall geht über in einen Nachschlaf. 

b) Kleine Anfälle 

Am häufigsten sind die Absencen. Hierbei tritt akut eine Bewusstseinspause von bis zu 30 sec, ein. Die Erkrankte/der Erkrankte hält in ihrer/seiner Tätigkeit inne. kann aber auch diese Tätigkeit automatisch fortführen. Nicht selten werden Phänomene wie Grimassieren, Lidbewegungen, Schmatzbewegungen beobachtet. Diese Anfälle werden häufig fälschlicherweise als „Ungezogenheiten“ interpretiert. 

Bei einer anderen Form der kleinen Anfälle, den psychomotorischen Anfällen ist das Bewusstsein eingeengt, die Patientin/der Patient wirkt „umdämmert“ (daher der ältere Ausdruck Dämmerattacken). Häufig werden Nestel- oder Greifbewegungen beobachtet, ebenso Schmatzen, Kauen oder szenische Handlungen, die in sich zwar sinnvoll scheinen können, in der Situation jedoch inadäquat sind. 

5. Hilfe im Anfall 

Bei einem Krampfanfall vor allem Ruhe bewahren und die Mitschülerinnen/Mitschüler auffordern, ebenfalls ruhig zu bleiben. Achten Sie darauf, dass die Schülerin/der Schüler frei atmen kann und sich nicht verletzt. Auf keinen Fall festhalten. Warten Sie ab, bis der Anfall von alleine aufhört und geben Sie der Schülerin/dem Schüler dann Gelegenheit, sich auszuruhen. Keine Beatmung! Nach dem Anfall auf Seitenlagerung achten, damit die Atemwege frei bleiben. 

Nur wenn der Anfall länger als 10 Minuten dauert oder sich in kurzen Abständen wiederholt, einen Arzt/eine Ärztin rufen. Nicht irgendetwas in den Mund zwingen. Versuchen Sie nicht, den Anfall zu stoppen. Sie können es nicht. 

Bei Absencen ist ein Eingreifen Ihrerseits nicht nötig. Bei psychomotorischen Anfällen lediglich. Beobachtung, um Verletzungen zu vermeiden. Halten Sie die Schülerin/den Schüler nicht fest und versuchen Sie nicht, ihre/seine Aktivitäten zu stoppen. 

6. Das Anfallsintervall 

Da das Kind oft starke Medikamente einnehmen muss, kann leichte Ermüdbarkeit auftreten. Außerdem finden sich nicht selten Konzentrationsstörungen und gelegentlich meist durch das Verhalten der Umwelt induzierte Verhaltensstörungen. Es ist zu beachten, dass ein chronisch krankes Kind bisweilen dem Unterricht fernbleiben muss, um sich regelmäßigen ärztlichen Untersuchungen zu unterziehen. 

Weitaus die meisten anfallskranken Kinder unterscheiden sich jedoch im Anfallsintervall durch nichts von ihren Altersgenossinnen/Altersgenossen! 

7. Die Rolle der Lehrerin/des Lehrers 

a) Diagnostische Funktion 

Häufig werden Anfallsphänomene erstmals in der Schule bemerkt. Wenn Sie den Verdacht haben, dass bestimmte Auffälligkeiten an Ihrer Schülerin/Ihrem Schüler Symptome einer epileptischen Erkrankung sein könnten, beobachten Sie besonders genau. Sie können dadurch wesentlich zur korrekten Diagnosestellung und damit zu einer wirksamen Behandlung beitragen. Sprechen Sie mit den Eltern. 

b) Integrative Funktion 

Die Lehrerin/der Lehrer kann der anfallskranken Schülerin/dem anfallskranken Schüler helfen, indem er ihre/seine Integration in den Klassenverband fördert, damit die Klasse sie/ihn als „eine/einen der ihren“ akzeptiert, als ein Kind, das sich, abgesehen von wenigen Besonderheiten, verhält wie jedes andere. 

Wenn die Schülerin/der Schüler nicht anfallsfrei ist, empfiehlt es sich, mit den Mitschülern und Mitschülerinnen ein informatives Gespräch zu führen. Ob die/der betreffende Schülerin/Schüler daran teilnimmt, muss von Fall zu Fall entschieden werden. Kinder und Jugendliche sind in der Regel sehr verständnisvoll, wenn sie wissen, worum es sich handelt. Gehen Sie initiativ vor und vergessen Sie nicht, dass Eltern es oft nicht wagen, den ersten Schritt zu tun. 

Aufgrund der mit der Epilepsie verbundenen Diskriminierung sind sie verängstigt und verunsichert. Suchen Sie das Gespräch mit den Eltern. Sie sind in der Regel für jede verständnisvolle Ansprache dankbar. Ein Gespräch zwischen Eltern, Lehrerinnen und Lehrern und der /dem behandelnden Ärztin/Arzt kann sehr hilfreich sein. 

Verhalten Sie sich möglichst wenig restriktiv! Dies gilt insbesondere beim Sport. (Näheres hierzu können Sie im anschließenden Artikel unter der Überschrift Epilepsie – Sport, Spiel, Spannung nachlesen). Es bestehen keinerlei Bedenken gegen eine Teilnahme an Exkursionen und Schullandheimaufenthalten. 

Obgleich die meisten anfallskranken Kinder sich in Leistung und Verhalten nicht von den Mitschülerinnen und Mitschülern unterscheiden, werden sie teils durch Überbehütung in der Familie, teils durch Unterforderung in der Schule ins Abseits gedrängt, was ungünstige Konsequenzen für die Schullaufbahn und die Berufswahl hat. 

In der Schule werden die Weichen für den künftigen Lebensweg der/des anfallskranken Schülerin/Schülers gestellt. Die Lehrkräfte können in vielen Fällen dazu beitragen, dass diese Schülerin/dieser Schüler die gleichen Chancen erhält wie alle anderen auch. 

c) Aufsichtsfunktion 

Aufsichtspersonen haften nur bei Vorsatz oder Fahrlässigkeit. Es ist nicht möglich, ein anfallskrankes Kind auf Schritt und Tritt zu beaufsichtigen. Hierunter würde auch die erforderliche Erziehung zur Selbstständigkeit leiden. 

Ihre Verantwortung liegt nicht darin, jedes Risiko von der Schülerin/dem Schüler fernzuhalten. Ihre Verantwortung liegt in der Zuwendung zur Schülerin/zum Schüler, die/der Ihre Hilfe braucht! 

8. Informationsangebot 

Diese Informationen können nur wenige Schlaglichter setzen. Jede/jeder an Epilepsie Erkrankte hat ihre/seine individuellen Probleme, die individuell berücksichtigt werden müssen. Informieren Sie sich bei den Betroffenen, bei den Eltern oder auch bei den behandelnden Ärztinnen und Ärzten. An vielen Orten gibt es Selbsthilfegruppen für Epilepsie. Weisen Sie die Eltern auf diese Tatsache hin, da sich unter Betroffenen viele Schwierigkeiten leichter lösen lassen als durch Außenstehende. 

Weitere Informationen können Sie erhalten durch die Deutsche Epilepsievereinigung e. V. in Berlin und die Stiftung Michael in Hamburg.
Die Adressen entnehmen Sie bitte dem anschließenden Kapitel Epilepsie – Sport, Spiel, Spannung. 

Deutsche Vereinigung gem. e. V. Zillestr. 102
10585 Berlin
Telefon (030) 3 42 44 14 

Anfallsfreies Kind, warum Sport? [ … ] 

(hier nicht abgedruckt, siehe ABl 4/95, S. 238) 

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